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Organisationale Resilienz NEOresilienz® 

Ein integratives Modell, um Krisen im Unternehmen besser zu verstehen und zu bewältigen Resilienz ist in der Psychologie ein Konzept, das die Fähigkeit von Menschen beschreibt, kritische Ereignisse (wie Schocks, Verletzungen, aber auch gesellschaftliche Krisen wie die aktuelle Pandemie) zu bewältigen. Einigen Menschen gelingt das besser als anderen, und in den vergangenen Jahrzehnten wurden in vielen Studien und Modellen Schutzfaktoren ermittelt, die zur Resilienz beitragen. Angesichts der großen und vielfältigen Herausforderungen, denen Unternehmen heute gegenüberstehen, wird dieses Konzept zunehmend auch auf Institutionen übertragen. Man spricht dann von „organisationaler Resilienz“. Doch die Faktoren, die Menschen im Umgang mit Krisen stark machen, sind gänzlich andere als die, die für Organisationen gelten. Hinzu kommt: individuelle Resilienz wird seit über 70 Jahren erforscht, organisationale Resilienz ist hingegen ein relativ neues Konzept, für das bisher lediglich recht allgemein gehaltene Modelle existieren. Deren Um- bzw. Übersetzung in konkrete unternehmerische Maßnahmen erscheint uns oft schwierig und komplex. 

Vor diesem Hintergrund haben wir bei compleneo Consulting ein Modell entwickelt, dass diese Lücke schließen soll: das NEOresilienz®-Modell. Es trifft Aussagen über die Tiefenstruktur von organisationaler Resilienz und beschreibt Qualitäten von Organisationen, die deren Krisenfestigkeit beeinflussen. Da wir uns als Organisationsentwickler neben der Beschreibung vor allem der Gestaltung betrieblicher Realität verpflichtet sehen, war es uns besonders wichtig, ein Modell zu entwickeln, das die unmittelbare Ableitung von Gestaltungsvorschlägen für die Unternehmenspraxis erlaubt. Gleichzeitig wollen wir keine konkreten Maßnahmen vorgeben, sondern im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung vielmehr einen systemischen Rahmen bieten. 

Mit meinem heutigen Blogeitrag stelle ich unser Modell vor und zur Diskussion. 

Polaritäten managen: Flexibiliät vs. Stabilität und interner vs. externer Fokus 

Die Grundannahme des NEOresilienz®-Modellsist, dass sich unternehmerisches Handeln im Spannungsfeld von Flexibilität vs. Stabilität einerseits (Nord-Süd-Achse) und internem vs. externem Fokus andererseits (Ost-West-Achse) beschreiben lässt. Daraus ergeben sich vier Pole, die unterschiedliche Kompetenzen von Organisationen und deren Handelnden erfordern und die mit bestimmten betrieblichen Prozessen verbunden sind. 

Resilienz Modell - Aufsicht NEOresilienz

Organisationale Resilienz zwischen Flexibilität und Stabilität

Der Umgang mit Flexibilität gelingt einerseits, wenn Veränderungserfordernisse frühzeitig antizipiert werden. Dann kann das Unternehmen z.B. durch Innovationen darauf reagieren. Er gelingt andererseits, wenn die Menschen im Unternehmen bereit und in der Lage sind, sich an Veränderungen erfolgreich anzupassen. Aus der Forschung zum Change Management z.B. von Klaus Doppler und Christoph Lauterburg[1] ist schon länger bekannt, dass diese Bereitschaft maßgeblich durch das Wohlbefinden der Mitarbeitenden sowie die Qualität ihrer Beziehungen untereinander beeinflusst wird. Organisationen, die flexibel sein wollen, tun daher gut daran, aktiv den Aufbau und Erhalt guter Arbeitsbeziehungen zu fördern und zudem auf eine Balance zwischen Be- und Entlastung der Menschen in der Organisation zu achten. Oder, um frei nach dem bekannten Neurobiologen und Lernforscher Gerald Hüther zu zitieren, benötigt werden Mitarbeitende „die mitdenken und die auch gute Ideen einbringen, die Verantwortung übernehmen können und die mit anderen im Team zusammenarbeiten können (…) und wenn es sich um Dienstleistungsgewerbe handelt, die auch noch freundlich (sind)… und das Alles kann man nicht bezahlen, das macht einer nur dann, wenn es ihm in der Firma gut geht.“[2]

Demgegenüber ermöglicht Stabilität es dem Unternehmen, weniger beziehungs- und stärker handlungsorientiert zu agieren. Der Fokus liegt hier weniger auf dem Innovieren als auf der produktiven Umsetzung und Wertschöpfung als solcher. Gleichzeitig ist Stabilität weniger mit dem Erwerb als mehr mit der Anwendung und Umsetzung von Wissen verbunden. Ferner werden Prüf- und Evaluationsprozesse in Gang gesetzt, die die Effizienz und Effektivität des betrieblichen Handelns verbessern. Und um Prof. Peter Kruse zu zitieren, „hier verdient das Unternehmen Geld“ während es im flexiblen Handeln eher die Zukunft vorbereitet.

Organisationale Resilienz zwischen internem und externem Fokus 

Auf der Ost-West-Achse unterscheidet unser Modell dahingehend, worauf der Fokus des unternehmerischen Handelns liegt. Beziehungsorientierung und Wissensanwendung (z.B. zur Prozessverbesserung) sind nach innen gerichtet und dienen vor allem der Organisation selbst. Innovationsvermögen und Handlungsorientierung zielen dagegen auf Entwicklung und damit klar auf den Kunden, Klienten, Patienten oder Bürger, je nach Art der Organisation und je nach ihrem Bestimmungszweck.

Was bedeutet das im Sinne organisationaler Resilienz?

Widerstandsfähigkeit gegenüber Störungen oder krisenhaften Ereignissen erleben wir immer dann als beeinträchtigend, wenn Organisationen sich nicht im Gleichgewicht im Sinne des Modells befinden.

Ein Beispiel:

Ein Unternehmen, dass sich stark darauf konzentriert, flexibel zu sein, wird vermutlich versuchen, seine Mitarbeitenden in einen ständigen Prozess des Lernens und der Entwicklung zu bringen. Und es wird vielleicht darauf achten, Prozesse häufig zu verändern oder gar nicht erst strukturierte Prozesse in der Organisation setzen und wirken zu lassen. Diesem Unternehmen fällt es dann leicht, sich an veränderte Bedingungen anzupassen und Lösungen für neue Herausforderungen zu finden. Es läuft aber Gefahr, Gelegenheiten zur Standardisierung und damit zur Stabilisierung auszulassen, mit deren Hilfe es seine wirtschaftliche Basis verbessern könnte. Und es läuft ebenso Gefahr, seine Mitarbeitenden entweder zu überfordern oder sie daran zu hindern, ihr Wissen zu konsolidieren und in die Anwendung zu bringen – eine frustrierende, demotivierende Erfahrung.

Ein zweites Beispiel:

Viele Unternehmen streben eine stärkere Orientierung aller Mitarbeitenden und Prozesse auf den Kunden an und fördern Innovation und Handlungsorientierung. Das ist auch eine meist passende und notwendige Ausrichtung, weil wir in unserer Beratungspraxis immer wieder erleben, dass Unternehmen zu sehr mit sich selbst und zu wenig mit dem Kunden beschäftigt sind. Wenn diese Stoßrichtung jedoch dazu führt, dass Beziehungsgestaltung im Unternehmen vernachlässigt oder die Prüfung und Verbesserung von Prozessen unreflektiert als „zu wenig agil“ abgetan werden, ist erneut das Gleichgewicht gestört und das Unternehmen wird nicht mehr, sondern weniger resilient.

Die Suche nach dem Gleichgewicht

Es geht also nicht darum, bestimmte Pole maximal auszuprägen, sondern ein dynamisches Gleichgewicht aller vier Pole zu erzeugen. Dynamisch deshalb, weil immer wieder neu geprüft werden muss, ob sich die innere und/oder äußere Situation so sehr geändert hat oder ändern wird, dass vor- oder nachjustiert werden muss. Auch die Wechselwirkung der Qualitäten untereinander ist entscheidend. Gerade deshalb haben wir für unser Modell die Form einer Halbkugel im Sinne eines Balance Boards gewählt: sie symbolisiert, dass organisationale Resilienz durch ein Gleichgewicht erzeugt wird, das kippen kann, wenn bestimmte Facetten zu sehr oder zu wenig betont werden.

Ansatzpunkte für die praktische Gestaltung organisationaler Resilienz

Wie bereits erwähnt, ist es unser Anspruch als Organisationsentwickler, nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu gestalten und zu lotsen. Wenn wir also feststellen, dass die Beziehungsorientierung in einem Unternehmen zu schwach oder zu stark ausgeprägt ist, das Innovationsvermögen gestärkt werden sollte oder das vorhandene Wissen nicht ausreichend genutzt wird, stellt sich die Frage, wie genau diese Bereiche gezielt verändert werden können. Das Modell gibt dazu konkrete Ansatzpunkte, indem es pro Bereich drei Qualitäten unterscheidet, die auf diesen Bereich einzahlen.

Ein Beispiel

Das Innovationsvermögen einer Organisation im Kontext der Resilienz ist nach unserer Beobachtung dann gut, wenn sowohl Prozesse als auch Menschen darauf ausgerichtet sind, folgende Qualitäten zu ermöglichen:

  • Flexibilität – die Fähigkeit, situativ eine passende Handlungsweise aus einem definierten Repertoire zu wählen und auf Veränderungen zügig zu reagieren oder mit vorhandenen Ressourcen kreativ auszukommen.
  • Vernetzung – der Grad an Offenheit und die Ausrichtung an Anforderungen von außen sowie das Bestreben, neue Verbindungen einzugehen oder zu erweitern und zur Lösung komplexer Herausforderungen zu nutzen.
  • Experimentierfreude – die Haltung, sich auf Neues einzulassen, Dinge zu wagen und unvoreingenommen zu bewerten, um neue Ideen, Prozesse oder Produkte zu entwickeln. Sie wird gestärkt, wenn Räume, Ressourcen und Gelegenheiten zum Experimentieren geschaffen werden und Ergebnisse von Experimenten wertgeschätzt werden, auch und gerade, wenn sie nicht zum Erfolg führen.

Resilient wird die Organisation aber erst dadurch, dass die komplementären Aspekte ebenso ausgeprägt sind. So ist es z.B. auch in einer sehr flexiblen Organisation wichtig, dass Kernprozesse stabil und standardisiert laufen, dass neben einer hohen Vernetzung nach außen und der damit verbundenen Offenheit, gemeinsam Neues entstehen zu lassen auch die vorhandene Expertise i.S. einer ausgeprägten Exzellenz sichergestellt ist. Und neben dem freudigen Experimentieren darf die Qualität nicht gänzlich auf der Strecke bleiben.

Unser NEOresilienz®-Modell ermöglicht es uns und unseren Kunden durch die hier aufgezeigte Beschreibungstiefe, sehr konkrete Ansatzpunkte für eine Gestaltung der jeweiligen Dimension und dem komplementären Gegenpol zu finden. Und vor allem schafft es Klarheit darüber, welche Felder und welche Qualitäten überhaupt unterschieden werden können, wenn es um die Bewertung der eigenen organisationalen Resilienz geht.

Wir werden an dieser Stelle im Laufe des Jahres 2022 in regelmäßigen Abständen auf einzelne Facetten unseres Modells intensiver eingehen. Zusätzlich bereiten wir aktuell ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit Universitäten und Anwendern vor, um unsere Modellannahmen zu überprüfen. Auch darüber werden wir zu gegebener Zeit berichten.

Wenn Sie das Thema der organisationalen Resilienz interessiert, Sie Fragen oder Anmerkungen zu unserem Modell NEOresilienz® haben oder Sie ganz praktische Unterstützung bei der Gestaltung der organisationalen Resilienz in Ihrem Unternehmen benötigen, freue ich mich über Ihre Rückmeldung und Ihre Kontaktaufnahme.

Völlig unverbindlich und kostenfrei steht Ihnen darüber hinaus unser Resilienz-Quick-Check zur Verfügung, mit dem Sie ein erstes Gefühl für die Resilienz Ihrer Organisation gewinnen können.

 

Herzlich, Ihr Mario Hüttges

[1] Doppler, K. & Lauterburg, C: Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten. Campus: 2019.

[2] Aus der Filmdokumentation: „Die stille Revolution“ (2016), 12‘45‘‘

 

 

 

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